Scherpunkt Asien: Lee Myung-Se: Nowhere to Hide

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Lee Myung-Se: Nowhere to Hide

Südkorea

Nowhere to Hide

Regie: Lee Myung-Se

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Lesen Sie auch Jonathan Rosenbaums komplexe Erwägungen zu diesem Film.

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Lee Myung-Se: Nowhere to Hide
Kritik von Steve Erickson

zum Asien-Schwerpunkt

Das amerikanische Publikum sortiert das zeitgenössische asiatische Kino vermutlich in die Sorte Nonstop-Action-Film (John Woos Hard-Boiled) einerseits, strenge formalistische Arbeiten andererseits (Hsiao-Hsiens Flowers of Shanghai) - dabei ist, wie Ang Lees Tiger & Dragon gezeigt hat, gerade die Grenzverwischung zwischen Multiplex und Programmkino das erfrischendste am asiatischen Film. In den 90ern haben Takeshi Kitano und Wong-Kar Wei eine Kultanhängerschaft gefunden, indem sie die vorgegebenen Genre-Muster mit ihren eigenen Obsessionen ausfüllten. Der japanische Regisseur Kiyoshi Kurosawa hat reine Horrorfilme gedreht (Sweet Home) und auch Übungen in Jim-Jarmusch-Kargheit (License to Live), aber sein bester Film verbindet das eine mit dem anderen (Cure, soll noch dieses Jahr in den USA anlaufen). Der taiwanesische Regisseur Tsai Ming-liang kreuzt in The Hole eine Sci-Fi-Prämisse und Musiknummern mit seinem üblichen Antonioni-artigen Ennui, währen der Hong-Kong-Regisseur Ringo Lam in Victim eine Gespenstergeschichte in eine Studie ökonomischer Ängste verwandelt, vergleichbar den Arbeiten von Tsai oder dem frühen Edward Yang.

Nowhere to Hide aus Südkorea verfolgt diese Strategie entschiedener als irgendein Film, den ich in letzter Zeit gesehen habe und bietet geradezu eine Landkarte der Übergangspunkte zwischen Action-Kino und Avantarde. Der Autor und Regisseur Lee Myung-Se bezieht sich auf naheliegende Quellen wie Dirty Harry und John Woo, während seine postmodernen Bilder das Vokabular des Stumm-, des Zeichentrick- des Avantgardefilms und des Musikclips verarbeiten (der größte Teil der Action ist mit pochender Techno- und Heavy-Metal-Musik unterlegt). Sein Tempogefühl ist großartig, die zahlreichen Kämpfe und Verfolgungsjagden sind mitreißend und die Kamera von Jeong Kwang-Soek und Song Haeng-Ki erschafft durchgehend schöne Bilder, ein verschwenderisches Gedicht über die Textur von Licht, Regen und Schnee. Leider bezieht der Film einen großen Teil seiner Kraft aus dem kindischen Spaß, den es uns bereitet, unsere Feinde halb tot zu schlagen. Wäre Nowhere to Hide ein schlechter Film, dann müsste man sich weit weniger über ihn ärgern.

Der Plot könnte aus einer Louis-Feuillade-Serie stammen: Chang Sungmin (Ahn Sung-Ki), ein Drogenboss und Meister der Verstellung, ermordet einen Mann auf einer Feuertreppe, eine bravouröse Szene, mit der ein langes Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihm und Polizeidetective Woo (Park Joong-Hoon) beginnt. Es folgen zahlreiche Verfolgungsjagden, bei denen der Detective, sein Partner (Jang Dong-Kun) und ihre Kollegen Changs Gehilfen jagen, verhören und nicht selten zusammenschlagen. Woos Partner, ein Cop aus dem Bilderbuch, weint, als er einen Mann getötet hat und weigert sich, neben seinen Kollegen auf die Straße zu pinkeln, mit der Misshandlung der Verdächtigen durch Woo hat er aber kein Problem. "Ich habe auch schon Zähne ausgeschlagen", sagt einer von Woos Vorgesetzten, "aber er ist viel bösartiger als ich."

Die Verteidiger des Films argumentieren, dass er die hässlichen Charaktere präsentiert, ohne über sie zu urteilen, dass die amerikanischen Zuschauer, die glauben, er glorifiziere Polizeibrutalität (die negativsten Kritiken in New York stammen von schwarzen Kritikern), ihre eigenen Probleme auf eine fremde Kultur projizieren. Was immer das bedeuten mag: Lee beschreibt sich selbst als Linken und sagt, dass die Polizisten in Nowhere to Hide denen gleichen, die er bei der Arbeit am Drehbuch getroffen hat. (Park hat sich seine animalische Körpersprache und die Gesichtsausdrücke, die einen an einen menschlichen Pitbull erinnern, sogar von Woos realer Entsprechung abgeschaut). Aber wenn Nowhere to Hide eine Verurteilung der Polizei von Inchon sein soll, dann findet sich diese Idee bestenfalls auf der Ebene eines ambivalenten Subtexts. Sogar Dirty Harry war ehrlicher in der Darstellung des Sadismus' seines Helden.

Ich habe zwei weitere Filme von Lee gesehen - First Love (1993), über die Liebe einer Studentin zu einem älteren Theaterregisseur und My Love, My Bride (1990), über die schwierige Ehe eines Schriftstellers. Auch da erweist er sich schwerlich als konventioneller, narrativer Filmemacher: in First Love zeigt er eine Dinnerszene in Standbildern und Silhouetten und zeigt ohne offensichtlichen Grund ein Mädchen beim Zähneputzen im schnellen Vorlauf. Um die Stimmungen der Heldin auszudrücken, verwendet er Zeichentrick und Gedicht-Zwischentitel und erlaubt ihr, sich direkt ans Publikum zu wenden. My Love, My Bride ist konventioneller, aber seine episodische Struktur ist offensichtlich von Comicbüchern inspiriert, seine ersten szenen springen vom unbeholfenen ersten Date der Liebenden zu ihrer Hochzeitsreise. In Nowhere to Hide wird hektische Action oft durch kurze Ausbrüche von Zeitlupe, totalem Stillstand oder sogar gezeichnete Darstellungen der Figuren unterbrochen. Lee scheint jedoch weniger an der Entwicklung der Charaktere interessiert als an der visuellen Ausbeutung des Genres (sei es nun eine Romanze, Komödie oder ein Actionfilm). Er behandelt seine Charaktere mit nachdenklicher Sympathie, was in den früheren Filmen eine gute Sache sein mag, in der Anwendung auf die hirntoten Brutalos von Nowhere to Hide jedoch moralisch dubios wird.

Grady Hendrix, Programmchef des Subway Cinema in New York, bietet eine sehr überzeugende Lektüre des Films: Nowhere to Hide kritisiert den Action-Film und unseren Hunger nach Action. "Die Cops sind süchtig danach und ... verdanken ihr einen heftigen Thrill, ihr übriges Leben scheint dagegen leer. Die Trostlosigkeit von Woos Leben - er sieht seine Eltern nie, er spricht kaum mit seinen Geschwistern, seine Wohnung ist ein vollgemülltes Rattennest - findet ihr Gegengewicht nur im Thrill der Jagd." Von der ersten Szene an jedoch wird Woo nicht als Opfer seines Berufs, sondern als Ikone präsentiert, als ein faszinierend ungezähmtes Arschloch. Neuere Hongkong-Filme (Johnnie Tos A Hero Never Dies, Patrick Yaus The Longest Nite, Lo Chi-Leungs Double Tap) haben den Action-Film mit mehr Erfolg dekonstruiert.

Lees selbstverliebter und spielerischer Umgang mit dem Genre erinnert eher an die neuere Welle von Neo-Noir-Kino aus Hollywood. Er hat die Gewalt in Nowhere to Hide während einer Vorführung in New York so verteidigt: "Nachdem die Polizisten Meathead auf der Polizeiwache zusammengeschlagen haben, taucht er mit Fußabdrücken auf seinem Gesicht auf. Wie kann das irgend jemand Ernst nehmen?" (Es könnte sich um den ersten Film handeln, der die Lücke zwischen Buster Keaton und dem Rodney-King-Video schließt.) Lee hat einen ungewöhnlichen Aciton-Film gedreht, aber sein stilisiertes Blutvergießen fordert uns mit unserem Vergnügen am Genre nicht heraus, distanziert uns auch nicht davon. Anders als hier ist die Gewalt in Double Tap oder in The Longest Nite oft erschreckend, beinahe nicht zu ertragen; in letzterem Film droht ein korrupter Cop das Auge einer Frau mit dem Bleistift auszustechen, ohne dass ein Zweifel besteht, was Yau von ihm hält.

Eine Kollege hat gesagt, moralische oder ideologische Fragen interessierten ihn bei Nowhere to Hide nicht, da die Geschichte nichts als ein Vorwand für die Stilübung sei. Wäre das der Fall, hätte Lee die Polizeibrutalität freilich ganz weglassen können, indem er einen weniger narrativen Zugang gewählt hätte. Unglücklicherweise tragen die experimentellen Aspekte des Films zur Wucht und Kraft seiner Gewalt gerade bei. In einem anderen Kontext könnte eine solche minimalistische Abstraktion eine Stärke sein, aber die halluzinatorische Euphorie von Lees Szenen wird irgendwann schal. Es mag Nowhere to Hide nicht an Substanz fehlen, unter der virtuosen Oberfläche aber ist der Film bis in den Kern verfault.

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Übersetzung: Ekkehard Knörer

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