Angela Schanelec: Plätze in Städten (D 1999)

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Angela Schanelec: Plätze in Städten (D 1999)

D 1999

Regie: Angela Schanelec

Mit Sophie Aigner, Friederike Kammer

Lesen Sie auch die Jump-Cut-Kritik zu Mein langsames Leben

 

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Angela Schanelec: Plätze in Städten (D 1999)
Kritik von Ekkehard Knörer

 Angela Schanelec: Plätze in Städten

Angela Schanelecs Filme stellen eine der Grundfragen des Kinos, eine Frage, die so grundsätzlich ist, dass fast der ganze Rest der Filmemacher so tut, als verstünde sich die Antwort darauf von selbst. Die Frage lautet: Wie rücke ich die Figuren ins Bild? Und die Antworten, die man an den Filmschulen lernt, sind topisch. Man lernt das Handwerk der Kadrierung, der Auflösung von Szenen in Einstellungen, als läge dem keine Frage zugrunde, als wäre das Handwerk nichts weiter als Einübung in die Verwendung eines Transportinstruments. Man lernt, wie man eine Geschichte in Bildern erzählt, man lernt, wie man Dialoge in Schuss und Gegenschuss zerteilt, man bekommt eine Logik des Schnitts und der Mise-en-Scène eingetrichtert, deren Konventionalität sich ganz tautologisch durch nichts anderes als ihre Konventionalität unsichtbar macht. Angela Schanelec tritt, Einstellung für Einstellung ihrer Filme, einen Schritt zurück, wenn nicht zwei, und stellt diese Frage ganz obstinat und in immer anderen Variationen neu. Mehr als alles andere sind ihre Filme daher eine Schule des Sehens - Meta-Kino in Form einer Grund-Schule, manchmal atemberaubend, in den gestellten Fragen wie in den gefundenen Antworten, manchmal in ihrer Überdeutlichkeit auch etwas anstrengend. Von "Plätze in Städten" zu "Mein langsames Leben" gibt es jedoch einen Zugewinn an Souveränität, an Leichtigkeit im Umgang mit dem erarbeiteten Vokabular, eine Entwicklung, die logisch ist und zugleich gespannt sein lässt, was als nächstes kommt.

"Plätze in Städten" konzentriert sich, ganz paradigmatisch, auf eine einzige Figur: die Schülerin Mimmi, die Eindrücke aus ihrem Leben verdichten sich erst im letzten Drittel des Films zu einer Art Plot - sie ist schwanger von einem Mann, den sie auf einer Klassenfahrt in Paris kennengelernt hat; sie fährt zurück nach Paris, zu einer erneuten Begegnung kommt es jedoch nicht. Plotförmig ist der Film als ganzer keinesfalls. Er setzt sich zusammen aus meist sehr langen Einstellungen, Fragmenten aus dem Alltag Mimmis, in dem nichts Besonderes geschieht, Fragmenten, die sich nie zu einem vollständigen oder runden Porträt der Figur zusammenfügen. In der allerersten Einstellung sitzt Mimmi mit dem Rücken zur Kamera, am Rande einer Straße, man bekommt die zwei, drei Minuten, die die Einstellung dauert, keinen Blick auf ihr Gesicht. Stattdessen redet ein junger Mann, der sie begehrt, der weiß, dass sie ihn nicht begehrt, der sie gerne nach oben begleiten möchte und verspricht, sie nicht anzurühren. Mimmi spricht kaum. Der junge Mann wird im weiteren Film nicht wieder auftauchen. Bald darauf eine lange Einstellung, im Dunkeln im Bett ein älterer Mann, Fahrlehrer, Mimmi legt sich nackt dazu, bleibt minutenlang unbewegt so liegen, die Kamera blickt unverwandt, irgendwann steht Mimmi auf (Schnitt), schaltet das Licht ein, sagt kein Wort, steht nackt da. Mehr erfährt man nicht über diese Beziehung. Mehr als das, was man sieht, erfährt man nicht über Mimmi, auch wenn der Film fast zwei Stunden lang beinahe ausschließlich nur ihr folgt. "Plätze in Städten" ist keine Annäherung an diese Figur: Schanelec macht das in der Staffelung ihrer Raum-Bilder ganz unmissverständlich klar, indem sie zwischen den Blick der Kamera und die Figur weitere Ebenen legt, eine Straße, aber auch Scheiben oder weitere Figuren. Es gibt einige wenige Großaufnahmen, die jedoch in ihrer Tendenz zur kühlen Ikonisierung alles andere als Emotionalisierung (gar Sentiment) im Sinn und zum Effekt haben. Einmal löst sich die Figuralität in der Großaufnahme fast völlig auf: Mimmis Haare füllen Sekundenlang die Leinwand, eine Komposition in Schattierungen von brauner Farbe.

Oft gleichen die Einstellungen Fotografien, in ihrer Statik, in ihrer Komponiertheit, in ihrer Abgeschlossenheit. Fotografien aber, deren Raum in die Tiefe geöffnet wird. Schanelec ist eine Meisterin dessen, was der Filmwissenschaftler David Bordwell "Präzisionsinszenierung" nennt und gegen den Vorwurf undynamischer Theatralität vehement - und sehr überzeugend - verteidigt. Die Präzisionsinszenierung nutzt den gerade filmischen Raum, das Dreieck in die Tiefe, das die Kamera eröffnet. Es geht um die Inszenierung der Figurenbewegung, die durch die Nicht-Bewegung der Kamera gerade sichtbar wird (freilich wird umgekehrt die Stillgestelltheit der Kamera oftmals geradezu physisch spürbar, bekommt der unsichtbare Blick ein eigenes Gewicht, das nicht Reflexion ist, sondern Präsenz, ein nicht formuliertes Bewusstsein ihrer Anwesenheit). Schanelec spielt bei der Staffelung in die Tiefe - das ist das naturgemäße Ausdrucksmittel dieser Inszenierungsform - mit den Schärfebereichen. In einer Szene des heftigen Konflikts zwischen Mutter und Tochter bleibt die Mutter im Vordergrund unscharf, die Kamera fokussiert Mimmi. Kurz darauf ein Negativ der Einstellung. Die Mutter liegt auf der Couch, in der Raumebene davor die verschwommene Kontur der Tochter. Dann aber (und das sind oft große Momente von stiller Dramatik) wird die scheinbar fotografische Komposition in Bewegung gesetzt: Mimmi geht an der Mutter vorbei auf den Balkon, so dass zwischen Mutter und Tochter (in der unveränderten Einstellung) eine weitere Schicht eingezogen wird: die Differenz von Innen und Außen liegt nun zwischen den Figuren. Es folgt ein Schnitt auf Mimmi, dann einer weg von ihr, ein Blick nach draußen, freies Feld. Darauf aber einer der wenigen Momente, in denen sich die Kamera ganz von der Figur zu lösen scheint. Ein Blick auf spielende Kinder, ein Blick, der selbst nach "außen" gelangt ist, außerhalb des Koordinatenbereichs, in den sonst fast jede Einstellung des Film einzutragen wäre. Der Nullpunkt dieses Koordinatensystems ist Mimmi.

Ihr zusehen bei dem, was sie tut und nicht tut, ihrem Schweigen, ihrem Handeln und ihrer Handlungsverweigerung: das ist das Konzept des Films. Die Ausrisse aus einem Leben, die "Plätze in Städten" präsentiert, sind formal in sich geschlossen (manchmal bis zur Klaustrophobie), nach außen aber haben sie scharfe Kanten des Nicht-Erklärten, des Nicht-Eingeordneten. Alle Fragen nach Motivierung, nach Vor- und Nachgeschichten bleiben offen. Der Film erzählt nicht mehr als er zeigt. Er erschöpft sich im Zeigen, das Zusehen ist. Die Dialoge scheinen auf derselben Ebene zu liegen wie die Figuren, es fällt derselbe Blick auf sie: als wären sie nichts als physische Präsenzen. Sie sind nicht der Schlüssel zum Inneren der Figur, sondern ihre Erweiterung in den Klang. Das gilt für die Tonspur als ganze: der Originalton, Geräusche, Geschirrgeklapper, vorbeifahrende Autos sind nicht das Nebenbei eines sinn- und wortzentrierten Klangs, kein Teppich, sondern eigenständiger Teil des Einstellungsbildes, das je und je eine abgeschlossene Totalität für sich besitzt. Der "Blick" der Kamera (das Visuelle wäre Metapher für die umfassendere Wahrnehmung, die den Ton, die Physis und die Kamera selbst einschließt) prallt auf die Figur im Raum. Der Film ist nichts als die Serie von Bildern der Figur, von Bildern ihrer physischen Präsenz (als Bild- und Klangerscheinung). In jeder der meisterhaften Einstellungen dieses Kinos wird und ist die grundsätzliche Frage aufgehoben, aufgelöst in einem sehr anspruchsvollen Sinn des Wortes: Wie rücke ich die Figur ins Bild?

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