Wednesday, August 04, 2004

Gustave Flaubert: Lehrjahre des Gefühls

Roman (1869)

Lehrjahre, die scheitern. Aus Frédéric Moreau wird nichts. Er ist der Held von Flauberts Historienpanorama, aber vor allem ist er der Inbegriff einer Zeit und ihrer Mittelmäßigkeit. Ein Held, der von Impulsen und den Energien der Straße und den Einfällen anderer Leute und aus Büchern aufgeschnappten Idealen getrieben wird, ohne aus Reflexion einen Sinn oder Willen oder vernünftigen Grund zu nehmen für das, was er tut. Den Kreis der Frauen abschreiten, mit denen er nicht glücklich wird. Der Minnedienst an Madame Arnoux, die er zur unerreichbaren Reinen stilisiert. Sie beschließen, einander nicht anzugehören. Dabei ist die Minne als Dienst dazu gedacht, Texte zu produzieren, Literatur, Kunst. Frédéric produziert nichts als das eigene Unglück und die leere Spiegelung eines Zeitalters. Die Mätresse, die ihm nur zum Beweis dient, nur weiß Frédéric nie genau wofür. Als er Vater wird, ist er bestürzt. Dafür lebt er nicht. Madame Dambreuse, die er benutzen will, an der er nichts findet als einen vermuteten Weg nach oben. Frédéric ist der blanke Opportunist mit einer vagen Idee vom Aufstieg. Eine Leidenschaft hängt daran nicht.

Er ist ein Zentrum, von dem keinerlei Energien ausgehen, ein Mittelpunkt, der wie unbeschrieben bleibt, ein Held, der nichts lernt, der sich nicht ändert, der nichts ändert, null und nichtig. Flauberts Obsession mit dem Null und Nichtigen überhaupt. Die „Education Sentimentale“ ist ein Panorama, das alles zu sehen gibt auf Makulaturbögen. Die Eigenheiten einer Epoche werden nirgends zu individuellen Eigenheiten, ein jeder ist entwertet zum Typus. Aus den Eigenheiten folgt nichts Inwendiges, nicht einmal aus den Gemeinheiten. Das ist kein Kunstfehler, sondern eine bösartige Diagnose. Unbeteiligt bleibt der Erzähler nur zum Schein. Es entschlüpfen ihm immer wieder Verdammungsurteile. Es kreuzen sich die Verachtung für das, was beschrieben wird und die rasende Wut, dem Nichtigen Form zu geben. Eine dem Schönen ganz abgewandte Kunst, die aber just in dieser fortgesetzten Abwendungsbewegung die Freiheit gewinnt, groß zu werden. Nichts an dieser Größe ist dem Gegenstand verdankt, alles – sozusagen – sich selbst: der Sprache, der Beobachtung. Die Kunst, aus Stroh Gold zu spinnen.

Die epische Konstruktion beinahe schematisch. Um das leere Zentrum Frédéric gruppiert die Politik, die Liebe. Genau und fein austariert, nichts darf fehlen, noch die Redundanzen sind aufs Mikrogramm dosiert. Alles ist im Gleichgewicht, Motive tauchen auf, verschwinden, erscheinen wieder, in einer neuen Durchführung. Das Wesen des Opportunisten: Er ist bereit, jede Veränderung mitzumachen und bleibt sich gerade dadurch immer gleich. Die Revolution, ihr Versuch bleibt mit diesem Personal ein Witz, ein schlechter Witz. Scheitern auf allen Linien. Noch der Verrat bleibt klein, nichtswürdig. Beinahe schon zu viel: dass Sénécal die reine Seele Dussardier ermordet, zum Schluss. Bitteres Ende: Die einander weder in Hass noch in Liebe, sondern in kleinlicher Konkurrenz zugetanen Freunde Moreau und Deslauriers lassen ihr Leben Revue passieren. Die schönste Erinnerung: Ein Bordellbesuch in ihrer Jugend. Madame Arnoux‘ Haare sind weiß geworden: Sinnbild der Entleerung, Enttäuschung. Sinnlose Lehrjahre, falsche Gefühle.

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