| Bereits im vergangenen Jahr wurde mit der Wiederaufführung
		    von Get Carter ein Comeback
		    für Michael Caine vorbereitet. Dem British Council ist es zu verdanken,
		    dass in den kommenden Wochen eine kleine Retrospektive seiner Filme in
		    ausgesuchten deutschen Kinos zu sehen ist (in Berlin laut
		    Programmankündigung vom 28.3. - 3.4. 2002 im Filmtheater der Hackesche
		    Höfe). Die Rückschau setzt sich aus so unterschiedlichen Filmen
		    zusammen wie The Ipcress File (1965), in dem er den Agenten Harry
		    Palmer spielt, der im Gegensatz zu seinem weltgewandten und charmanten
		    Berufskollegen James Bond, mit Hornbrille und Trenchcoat bestückt, nicht
		    über Londons Grenzen hinauskommt; Educating Rita (1983), dessen
		    Hauptrolle des Literaturprofessors Frank Bryant ihm einen Oscar einbrachte
		    und dem Highlight der Retrospektive: Alfie (1966). 
		     Das London der Swinging-Sixties bildet die Kulisse für die
		    Hauptfigur Alfie Elkins, gespielt von Michael Caine, einem 30jährigen
		    Playboy, vor dem keine Frau sicher ist. Tagsüber geht der smarte Alfie
		    wechselnden Professionen wie dem eines Automechanikers oder Chauffeurs nach,
		    abends jedoch geht er, stets gutgekleidet, mit einem seiner zahlreichen
		    birds aus. Sein Zuhause, oder besser seine Schlafstätte,
		    befindet sich dort, wo die Beziehung gerade die innigste ist.
		    Seine egoistischen Ideale erstrecken sich darauf, Spaß mit Frauen,
		    genug Geld und ein eigenes Auto zu haben, alles andere ist für ihn
		    lästiger Ballast. Selbst als seine Freundin ein Kind von ihm bekommt,
		    ist Alfie nicht bereit, seinen Lebensstil zu ändern. Zwar widmet er
		    sich am Wochenende dem Familienleben, doch lieber überlässt er
		    die Vaterrolle seinem romantisch veranlagten Kontrahenten Humphrey. Als er
		    die Frau eines Freundes schwängert, geht er sogar soweit, einen Arzt
		    für eine Abtreibung zu besorgen. Schockiert über den Vorgang der
		    Abtreibung, setzt bei ihm ein Denkprozess ein, der jedoch nur kurze Zeit
		    anhält. Die nächste weibliche Verlockung wartet schon auf
		    ihn.
		     
		     In der ersten Hälfte des Films beobachten wir Alfie, wie es
		    ihm immer wieder gelingt, die Frauen für sich zu gewinnen und, dann
		    für seine Zwecke zu missbrauchen. Er bevorzugt junge, unerfahrene Frauen
		    oder verheiratete Frauen, die dankbar sind, für jede Form der
		    Abwechselung. Dabei ist er nicht allein auf die Befriedigung seiner
		    sexuellen Lust aus, sondern nutzt konsequent ihre anderen weiblichen
		    Vorzüge wie kochen, waschen, putzen. Während der
		    working-class-hero Alfie sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser
		    hält, kommandiert er zuhause herum, macht sich über die Sorgen
		    und Nöte der Frauen lustig und begegnet ihnen voller Sarkasmus. Alfie
		    interessiert sein eigenes Wohlbefinden, andere kümmern ihn nicht, wenn
		    überhaupt dann nur sein kleiner Sohn Malcolm. Doch nicht der Witz und
		    die Beschwingtheit, mit der der Tunichtgut anfänglich unsere Sympathie
		    gewinnt, machen seine Person und damit den Film aus, sondern die Impertinenz,
		    mit der er vom Leben im Allgemeinen und von den Frauen als birds
		    und it im Besonderen spricht. Mit geradezu unverschämtem
		    Spott und Zynismus philosophiert er über menschliche Beziehungen und
		    offenbart seine gänzlich dunkle,
		    spießig-kleinbürgerliche Seite. Der Regisseur Lewis Gilbert entzaubert
		    in Alfie das London der 60er, das in zahlreichen Filmen als hip und
		    trendy gezeigt wird, als hedonistische, schmuddelige Insel der Einsamen.
		    Ohne jedoch ins Reaktionäre zu kippen, gelingt es Gilbert, eine Gesellschaft
		    zu porträtieren, die weit entfernt ist von der Angst vor AIDS. Und das
		    England der angry young men scheint ebenfalls meilenweit weg.
		     
		     Doch nicht allein das Narrative macht den Reiz des Films aus. Der
		    Stil ist es vielmehr, der einen gebannt hält. Was eigentlich als absolutes
		    Tabu gilt, dass ein Schauspieler direkt in die Kamera spricht, ignoriert
		    der Film konsequent. Michael Caine spricht uns direkt an und lässt seinen
		    Gedanken freien Lauf oder kommentiert das Geschehen um ihm, und das permanent.
		    Die verblüffendste und genialste Szene zugleich ist eine Untersuchung
		    bei einer Ärztin, die ihm attestiert, dass er zwei Schatten auf der
		    Lunge hat. Während sie ihn untersucht und zu seinem Befinden befragt,
		    spricht er ununterbrochen mit der Kamera, so dass die eigentlich stattfindende
		    Handlung samt Dialog nebensächlich, ja störend auf ihn wirkt; die
		    Ärztin bittet ihn 99 zu sagen, da er jedoch mit der Kamera (also uns)
		    spricht und ihr nicht zuhört, zählt er weiter und sagt 100. Die
		    Kamera wird sein bester Freund, dem er alles anvertraut. Ergo, wir, die
		    Zuschauer, werden zu Komplizen und fühlen uns von seinem Witz und Charme
		    angezogen und gleichzeitig von seinen Gedanken abgestoßen. Ein raffinierter
		    filmischer Clou, der auch nach Jahrzehnten und etlichen Erweiterungen der
		    Stilmittel seine Faszination bewahrt hat.
		     
		     Michael Caine wurde für seine Rolle in der Kategorie Bester
		    Schauspieler für den Oscar nominiert und es gelang ihm der Sprung nach
		    Hollywood. Sein Cockney-Akzent, den der gebürtige Londoner nicht
		    einzustudieren brauchte, machte den Amerikanern derart zu schaffen, dass
		    der Film an einigen Stellen nachsynchronisiert werden musste. Der British
		    Council zeigt den Film im Originalton, so dass auch wir in den Genuss dieses
		    Idioms kommen. Die Musik ist ebenfalls ein Genuss, sie stammt von dem
		    legendären Saxophonisten Sonny Rollins. Für Caine-Fans ist Alfie
		    ein absolutes Muss und wer ein Liebhaber der Sixties ist, wird sich
		    köstlich über die Set-Dekoration freuen.
		     
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