5/26/2004

Gutachten zu Blood Feast

Wie vielleicht bereits bekannt, wurde Anfang des Jahres der erste Splatterfilm der Filmgeschichte Blood Feast (Herschell Gordon Lewis, USA 1963) vom Amtsgericht Karlsruhe beschlagnahmt (Pressespiegel). Der Verein Medialog e.v.i.Gr. hat dazu eine Kampagne gestartet, um diesen irrwitzigen Beschluss im Idealfall rückgängig und eine breite Öffentlichkeit auf den zensurierenden Umgang mit Filmen im Allgemeinen aufmerksam zu machen. Neben einer Online-Petition gehört dazu nun auch das Sammeln von Gutachten, die sich eingehend mit dem Film beschäftigen und dabei aufdecken, dass ein bloßes Aufzählen von Nahaufnahmen - wie in dem knappen Beschlagnahmebeschluss geschehen - auch einem "Schundfilm" nicht gerecht wird, bzw. diesen nicht hinreichend erfasst, um ein totales Verbot zu rechtfertigen.

Das erste Gutachten kann nun online runtergeladen (pdf) werden. Auf 25 Seiten untersucht der Film- und Kulturwissenschaftler (und Jump-Cut-Mitarbeiter) Stefan Höltgen ausführlich Herschell Gordon Lewis' Film und dessen ästhetische Vorgehensweise. Dabei arbeitet er nicht nur Besonderheiten etwa auf der Tonspur heraus, sondern erarbeitet auch Ungenauigkeiten und faktische Fehler im Beschlagnahmebeschluss, der im Anhang dokumentiert ist.

Weitere Gutachten von Medienwissenschaftlern und Filmpublizisten sind bereits angekündigt: "Derzeit sind Texte vom Kieler Medienwissenschaftler Prof. Dr. Hans J. Wulff, dem Münchner Medienrechtsanwalt Holger von Hartlieb, dem Filmpublizisten Georg Seeßlen und dem Filmregisseur und Journalisten Jörg Buttgereit in Arbeit bzw. liegen bereits vor." (Hervorhebungen: Thomas Groh)

Medialog gewährt zudem bereits erste Einblicke in die Arbeit von Prof. Dr. Hans J. Wulff: "Der Mediengewaltforscher Wulff weist in seinem Gutachten darauf hin, dass die medial dargestellte Gewalt, wie sie häufig in Filmen wie "Blood Feast" inkriminiert wird, die Gesellschaft nicht zerstört, "sondern hilft, sie zu befestigen und zu sichern, weil sie die Adressaten in einen Erlebens- und Denkprozeß hineinbewegt, in dem Tugenden verhandelt werden und aus dem sich eine Moral aus der Geschichte ableitet. Die Wirkungsfrage, die so oft naiv gestellt wird, weil es so evident zu sein scheint, daß 'schlechte Filme' Vorbilder für reales Verhalten anzubieten und die Drehbücher für manches reale Verbrechen abzugeben scheinen, verschiebt sich so – auch in der Besichtigung gewalttätiger Interaktion findet eine Auseinandersetzung von Zuschauer-Ich und Alltagswelt statt." Wulff weist weiter auf das kulturelle und historische Erklärungspotenzial hin, das in den Bildern der Gewalt verborgen ist, und kommt zu dem Schluss, dass "Blood Feast" bereits 1963 "erste tastende Versuche unternahm, die sich verschiebende Körperwahrnehmung der Industriegesellschaften zu thematisieren und Ausdrucksformen zu finden, die einander widerstrebende Affekte miteinander verbanden."

1 Comments:

supatyp said...

auch in der Besichtigung gewalttätiger Interaktion findet eine Auseinandersetzung von Zuschauer-Ich und Alltagswelt statt. (der Professor Wulff da)

Bei solchen klaren Sätzen wird sich das Amtsgericht aber ganz bestimmt das noch mal überlegen mit der Beschlagnahme.

Etwas unsaubere Argumentation, in der die dieser Beschlagnahme zugrunde liegende Idee unter den Fernsehsessel geschoben wird. Und die Wirkungsforschung hat übrigens bis heute nichts bewiesen!

8:38 AM  

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