Backlist: Agnes Varda: Le Bonheur

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Agnes Varda: Le Bonheur

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Le Bonheur beginnt mit einem klassischen Natureingang: die französische Kleinfamilie im Grünen, ein locus amoenus der Liebe als Fest der Farben und der Musik von Mozart, die von hier aus durch den ganzen Film flutet. Abwesend ist am Anfang die Gesellschaft - und wenn sie dann auftritt, bleibt ihre Darstellung naturförmig. Francois, der überaus glücklich verheiratet ist, lernt auf dem Postamt Emilie kennen, sie verlieben sich, schlafen miteinander - aber Konkurrenzansprüche zur Familie sollen daraus nicht entstehen. Agnes Vardas Film zeigt all das ungerührt, selbst verführerisch in der Schönheit seiner Bilder, im Rhythmus seiner Schnitte, der nicht weniger musikalisch ist als die Musik, immer wieder Mozart. Aus einer Abfolge von Thereses Handgriffen im Haushalt macht Varda eine kleine Symphonie, das erste Zusammentreffen von Francois und Emilie an deren Wohnungstür, in deren Wohnung, ist komponiert aus Schnitten, wie man sie so noch nie gesehen hat, einleuchtend, überwältigend, diese merkwürdige Neuerfindung der Liebe wird plausibel in den immer wieder überraschenden Blicken der Kamera und des Films.

Ein Meisterstück ist die Inszenierung eines Dorffestes, bei dem im Tanz mit wechselnden Partnern das konkurrenzfreie Miteinander von Francois und seinen beiden Frauen geradezu utopisch dargestellt wird - und bei dem die Kamera mehrmals langsam von links nach rechts und zurück schwenkt, immer wieder an einem Baumstamm vorüber, auf den die Kamera für die Momente, in denen nichts als dieser Stamm im Bild ist, auch fokussiert, als wäre er eine der Figuren. Links und rechts des Baumstamms kommt dann Francois ins Bild, mal mit Therese tanzend, mal mit Emilie, dazu dann ausnahmsweise Tanzmusik, nicht Mozart. Man weiß nie so recht, ob nicht in diesen wunderbaren formalen Lösungen, auch in den oft atemberaubend direkten Dialogen, eine tiefe Ironie steckt; eine objektive Ironie liegt auf jeden Fall in der bereits erwähnten Naturförmigkeit der Darstellung (für die dieser Baumstammschwenk noch einmal eine Metapher ist): die Personen erscheinen nicht als Handelnde, sondern als blindlings (aber in ihr Glück) Getriebene, die diesem Getriebensein nichts entgegenzusetzen haben. Einen anderen Begriff von Glück hat Le Bonheur nicht als den, den etwa auch ein Tier haben könnte, das die Sonne genießt, solange sie da ist. Die Liebe, die Francois erlebt, ist - das behauptet der Film wieder und wieder - ein Naturereignis wie die Sonne, nicht beeinflussbar, aber auch teilbar und kein Grund zur Eifersucht. Es gibt keine Aufschlüsse über Reflexionen der Figuren oder Innenleben (genauer: es ist als gebe es das überhaupt nicht), das gilt besonders für Therese, deren Tod erst gar nicht, dann - ohne, dass dadurch etwas erklärt würde - in zwei kurzen Flashbacks gezeigt wird, die aber auch einfach kurze Fantasien von Francois sein könnten. Dieser Tod ist ein weiteres Naturereignis, die Frage nach Motivationen, Psychologie, Moral (die sozusagen zuallererst) ist fehl am Platz.

Nur konsequent ist der (sieht man ihn mit anderen Augen als denen des Films: empörende) Fortgang des Geschehens, die Ersetzung von Therese durch Emilie, wiederum völlig ungerührt gezeigt, auch Mozart ist gleich wieder zur Stelle. Das Atemberaubende an Le Bonheur ist, dass einem der Film jedes Fundament, von dem aus man werten, erklären, begreifen könnte, was da geschieht, entzieht. Man kann nicht mitfühlen, mitleiden, sich nicht identifizieren, aber auch nicht verabscheuen. Der Film ist reine, perfekte Zweidimensionalität, schmerzhaft schön, ohne jede Tiefe, pure Oberfläche, deren Komposition und Rekomposition alles ist, was man an Anhaltspunkten bekommt. Zutiefst ironisch (oder eben auch wieder überhaupt nicht; es lässt sich nicht sagen) dann der Schluss, der Naturausgang sozusagen, der dem Anfang korrespondiert, wiederum: die Kleinfamilie im Grünen, ein Fest der Farben, dazu betörender Mozart. Statt Therese jetzt eben Emilie.


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