Sunday, October 29, 2006

Adalbert Stifter: Granit

Spur und Stein und Zeichen. Alles spricht und ist lesbar. Oder: Alles wird lesbar gemacht im Erzählen. Von Stein zu Stein schließt sich der Kreis. Den Horizont gibt – als Horizont der Steine – das Unvordenkliche, das Außen der Zeit. Darein aber mit der Stimme des Großvaters der Eintrag der historischen Zeit als ein Sprechenmachen der Dinge. Oder ein Herauferzählen. Dinge werden Zeichen. Herstellung von Lesbarkeit. Und alles beginnt mit einer seltsam verschmierten Spurensetzung und Fehllektüre. Das Pech an den Füßen des Ich-Erzählers (der selbst, vom Stein an, seine Kindheit herauferzählt), die Spuren auf dem frisch geputzten Boden. Die Mutter liest sie falsch als Zeichen bösen Willens. Und als sich das klärt, fallen Steine vom Herzen.

Zeigen – Merken. Einführung in eine symbolische Ordnung der nächsten Nähe. Alles hat einen Namen und bekommt eine Bedeutung. Die Natur, die bleibt. Namen wie Steine. Und die Rauchsäulen als "shifter", die anzeigen, dass sich das, worauf sie verweisen, bewegt: "Darum haben auch die Rauchsäulen keine bleibende Stelle, und heute siehest du sie hier und ein anderes Mal an einem anderen Plaze." Die Ordnung der Dinge in der Natur als Lebenswelt: "Das ist das Leben der Wälder." Dieses Mal installiert und präpariert der Großvater als Erzähler den Ort als Schauplatz eines Geschehens, das darin eingetragen wird. Figuration der Erzählstimme – und Bewegung des Erzählens. Der Blick, der hier schweift und in der Erzählung Natur und Geschehen verknüpft, Wald und Natur der Lebenswelt in eine historische Sinnwelt transformiert, ist verkörperter Blick. Blick und Stimme machen das Tote lebendig und machen es sprechen von vergangener Zeit. Allerdings erzählt die Geschichte, die aus der Natur herausgelöst und herauferzählt wird, von Pest und Tod.

Die Erzählung selbst – als Erzählung der Herstellung von Lesbarkeit, als Verlebendigung der Dinge zu Zeichen, als Sprechenmachen der Welt – produziert selbst eine Übergängigkeit von Erzählwelt und erzählter Welt. Die Glocken tönen hier und da: "In dem Augenblike gleichsam wie durch die Worte hervor gerufen tönte hell klar und rein mit ihren deutlichen tiefen Tönen die große Gloke von dem Thurme zu Oberplan. (...). 'siehst du, Kind, diese Zunge sagt uns beinahe mit vernehmlichen Worten, wie gut und wie glüklich und wie befriedigt wieder alles in dieser Gegend ist.'" Die Ideologie des Ästhetischen als Allegorie der Verlebendigung. Das Tönen spricht mit Glockenzungen. Worte rufen Töne hervor, die wie Worte klingen. Die Ereignisangst des späteren Stifter. Das Geschehene, im Erzählen heraufgerufen, wird im Erzählen sogleich wieder gebannt. Die Zunge des Großvaters, die alles bedeutend macht, bannt die Bedeutung, indem sie noch die Glocke zur Zunge erklärt. Die Erzählung kommt dabei zu Hilfe und macht im "hell klar und rein" und "deutlich" die Transparenz von Sinn und Zeichen augenfällig. Dabei ist hier, an dieser frühen Stelle, mitten in der Erzählung von Tod und Pest, diese Befriedigung eine Vorbeugemaßnahme.

Und die Verunsicherung folgt sofort. Nichts ist je sicher, das Helle, Klare, Reine muss stets aufs Neue behauptet, die Transparenz des Bedeutens immerzu hergestellt werden. Bannung ist ständiger Auftrag. Der Glockenschlag als Zeichen im Verfall: "Einstens wurde dieses Zeichen sehr beachtet." Heute nicht mehr. Zur Verfallsgeschichte des Zeichens sogleich eine Mahngeschichte vom Oheim Simon, der im Sterben die Glocken noch einmal hören wollte. Allein sie schwiegen – geht die Erzählung. Und sogleich schweigen sie auch im Rahmen, der die Erzählung ist. Und die jetzt weiter geht. Aber mit Mühe, denn die Sohlen der Stiefel sind abgeschliffen. Das Verschleifen von Schritt und Tritt ist fatal: "auf diesem Grase muß man den Tritt gleich hinstellen, daß er gilt". Und: "Siehst du, alles muß man lernen, selbst das Gehen." Dies ist kein romantischer Text. Die Natur spricht nicht. Sie wird sprechen gemacht. Unaufhörliche Produktion von Lesbarkeit. Unaufhörliche Bannung des Erzählten im Erzählen. Und alles wird Merkzeichen – sei es als Zeichen, das ans Zeichenzeigen erinnert: "Merke dir den Baum, und denke in späten Jahren, wenn ich längst im Grabe liege, daß es dein Großvater gewesen ist, der ihn dir zuerst gezeigt hat." Das Zeigen als Machen von Zeichen ist das eigentliche Ereignis: als Verankerung eines gemachten Bedeutens. Der Großvater hat bei seiner Memorialinstallation an alles gedacht.

Damit ist alles gerichtet. Nun kann erzählt werden. Es ist, im Erzählen, auch Raum für den Intertext: Die Burg und der See verweisen – ohne dass der Großvater es aussprechen kann – auf Stifters "Hochwald". Aber im Hereinerzählen des Intertexts, der hier seine nachträgliche Stiftungserzählung erhält, wird noch das eigene Erzählen (Stifters) im Bedeutungs- und Zeichenmachen des Großvaters verankert. Zeigen – Merken – Andenken: So hat das Erzählen seine Ordnung. Und erzählt von Unordnung und Vergeblichkeit: "Es hat aber alles nichts geholfen." Das ausgemachte Rauchsäulen-Zeichen geht ins Leere und rettet niemanden. Auf die Zeichen ist – davon erzählt die Geschichte, die die Merkzeichen verlebendigt, die die Dinge zu Zeichen erst macht – auf die Zeichen ist kein Verlass. Wie Adam und Eva müssen die Kinder noch einmal beginnen, von vorne, im Wald. Der Rest ist dann schnell erzählt. Trennung, Wiederbegegnung, Übernahme des Schlosses. Übergang ins Märchen. "Siehst du, da bekam er ein Schloß, er bekam Felder, Wiesen, Wälder, Wirthschaften und Gesinde, und wie er schon in der Jugend verständig und aufmerksam gewesen war, so vermehrte und verbesserte er alles..." Das ist die schale Nutzanweisung: "verständig und aufmerksam". Es folgt der Halbschlaf, die Bespritzung mit Weihwasser. Es folgt der Traum, als Alptraum, der in den Frieden hinübergleitet.

Und es geht das Ende dann doch ins Leere. Das letzte Wort hat die Notiz vom Ausfall der Initialerinnerung. Wie wurden die Spuren des Pechs getilgt? Die Spur des Merkens verliert sich im fortgesetzten Vergessen, ja das Erinnern ist errichtet über dieser Krypta der ersten Spur: "Wie es aber auch seltsame Dinge in der Welt gibt, die ganze Geschichte des Großvaters weiß ich, ja duch lange Jahre, wenn man von schönen Mädchen redete, fielen mir immer die feinen Haare des Waldmädchens ein: aber von den Pechspuren, die alles einleiteten, weiß ich nichts mehr, ob sie durch Waschen oder durch Abhobeln weggegangen sind, und oft, wenn ich eine Heimreise beabsichtige, nahm ich mir vor die Mutter zu fragen, aber auch das vergaß ich jedes Mal wieder."

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