| Ein Hinterhof, ein Treppenhaus, von oben Lärm wie von einer
		    Party, die schon ziemlich heftig im Gang ist: HAU 3, off off Broadway von
		    und mit Matthias Lilienthal, eklige Type, Ex-Volksbühnen-Dramaturg,
		    jetzt Herr über drei Independent-Bühnen rund ums Hallesche Tor.
		    Da steht er am Geländer, mitten im Gedränge einer Crowd, die vor
		    Neid und Insidertum und Konkurrenzgefühlen vibriert, bezirzt von drei
		    jungen Frauen, die wohl wollen, dass er was von ihnen will. Am Rand auf einem
		    Stuhl eine ältere Frau, graue Haare, wahrscheinlich die Oma eines der
		    Beteiligten, das geht sie alles gar nichts an. Verteilt werden Fragebögen
		    "Publikum im Rampenlicht 2004", die erste Seite habe ich ausgefüllt.
		    "Was streben Sie persönlich in Ihrem Leben an? Wie wichtig sind die
		    folgenden Dinge für Sie? ein aufregendes Leben, Religion und Kirche,
		    Freiheit und so weiter und so fort". Ja, sonst noch was. Hab das Blatt still
		    zusammengefaltet und eingesteckt. Den Kuli hab ich mitgehen lassen. 
		     
		    Jochen Roller: Mindgarden. Ausverkauft, heiß, am Ende des kleinen
		    Saals auf sieben Stühlen sieben Tänzerinnen und Tänzer. Einer
		    tanzt und steht, eine Weile noch, es dauert, Nacheinlass, Leute sitzen auf
		    den Treppen. Dann tanzt ein anderer. Und spricht, gehetzt. Tanzt, spricht,
		    beschreibt, tanzend, sprechend, sein Zimmer. Mein Bett, mein Tisch, meine
		    Ofenheizung. Gestisch unterstrichen, Tanz als Geste, Tanz als Illustration.
		    Dann eine Videoeinspielung, derselbe Mann bewegt sich durch Berlin, ganz
		    normal erst, dann immer wieder unterbrochen durch kurze Momente des Tanzes,
		    silly walks. Im Probenraum. Man schreibt Wörter auf, die man vertanzen
		    kann. Quatsch, Quatsch. Wochenende. Vertanz das mal. Hier findet der Abend
		    zu seinem Prinzip. Verhandelt wird die Lesbarkeit des Tanzes zwischen Geste
		    und Figur. Programmtanz, der aber immer wieder ins heillos Unlesbare entweicht.
		    Vorgelesen werden Texte zum Schwänzeltanz der Biene, zur Kommunikation
		    unter Neurotransmittern. Das wird getanzt. Dagegen aber stehen
		    Schrifteinblendungen mit den Wörtern, die in der Videoeinspielung notiert
		    wurden. Der Performer, der schon sein Zimmer vertanzt hat, tanzt nun den
		    Neurotransmitter-Text und die dazwischengestreuten Wörter (Dribbeln,
		    Wochenende, Quatsch, Quatsch). Es geht durcheinander. Später treten
		    die einzelnen Tänzer ans Mikrofon, ein Ratespiel: Eine neurophysiologische
		    Störung mit A. Wird dann vertanzt. Man rät und rätselt, mal
		    erkennt man es, mal nicht. In der Lücke zwischen Erkennen und
		    Nicht-Verstehen steht, als Witz und Ernst, die Frage nach dem Status des
		    Tanzes: nach seiner Lesbarkeit, seinem Verhältnis zum Begriff, zum Bild.
		    Große Momente. Brainy, sexy, funny stuff.  |